Zur Eröffnung der Ausstellung "Heilige Verführung" in der Galerie Havelspitze
von Rainer Milzkott
"Ich
will die doch gar nicht kennen lernen", sagt Julia Hürter gegen Ende unseres
Gesprächs in ihrem Atelier, das sich über drei Stockwerke in einem Haus des
neuen Berliner Bautyps "Town-House" erstreckt. Es liegt an der Rummelsburger
Bucht, in der anderen Wasserstadt, vier Kilometer spreeaufwärts vom
Alexanderplatz.
"Die",
das sind jene, deren Portraits sie gemalt und an die Wände gehängt hat, die
hintereinander gestapelt auf Ausstellung oder Sammler warten. Sie füllen ein
kleines Archiv im Keller, in dem wir immer noch ein Bild und noch ein Bild
sehen wollen. "Die" heißen Naomi, Cindy, Kate, Angelina oder Heidi. Ja, genau
diese Frauen, die wir aus den Zeitungen, den Zeitschriften und den
Hochglanzmagazinen kennen, die "Models", Modellfrauen, Heilige des späten 20.
und des frühen 21.Jahrhunderts. Julia Hürter kennt sie genau, ihre Posen, ihre
leeren Blicke. Sie hat sie seit vielen Jahren studiert, in den Zeitungen,
Zeitschriften und Hochglanzmagazinen. Zur Zeit gebe "Gala" die besten Vorlagen
ab. Zeitschriftenstapel türmen sich in ihrem Atelier. Julia Hürter sucht die
Bilder, auf denen sie "irgendwie lecker aussehen", denn es geht nicht um
vordergründige Kritik. Sie sei höchst fasziniert von der Glamour-Welt, "weil
sie so schön unerreichbar ist, weil sie mit Realität wenig zu tun hat."
Der
"Glamour" entstammt dem schottischen "Grammar", das die Regelwerke der
katholischen Scholastik bezeichnete, bevor es im 16. Jahrhundert von
protestantischen Interpreten zur Magie und Zauberkunst umgedeutet wurde. Das
lateinische "Clamor" bedeutet Krach und Streit, selbst "Glimmer" und "Glitz"
beziehen englische Linguisten in ihre langen Abhandlungen über den Hintergrund
des Wortes Glamour ein. Es versteckt sich dahinter also auch etwas Falsches,
Brüchiges, und es hat mit Regeln zu tun, die es zusammenhalten, für alle erst
erfahrbar machen.
Glamour
wird für uns gemacht, für das Volk, das glaubt und arbeitet und konsumiert.
Wir sollen glauben, dass uns ein Kleidungsstück genauso abgehoben überirdisch
wirken lässt, wie das Model auf dem Foto. Es geht um eine Anleitung, eine
Führung, eine Ver-führung zu erhofftem Glück.
Zu den
Regeln des Glamour gehören die immergleichen Mimiken. Auf Julia Hürters
Bildern erreichen die Posen durch Reduktion auf einen radikalen Bildausschnitt
und durch Farbtonangleichungen bis hin zur reinen Fläche ikonografische
Qualitäten. Die Ikone, griechisch Eikona, meint das Bild, das wahre Abbild.
(Im Gegensatz zu Idolo, dem Trugbild oder Traumbild.) Die Ikone wird zum
Begriff für die Kultbilder der Byzantinischen Kirche. Der Zweck der Ikone ist,
Ehrfurcht zu erwecken und eine existenzielle Verbindung zwischen dem
Betrachter und dem Dargestellten zu sein, indirekt auch zwischen dem
Betrachter und Gott. Ikonen werden in der Orthodoxen Kirche weder als
Kunstgegenstände noch als Dekoration angesehen. Es gab einen Bilderkanon, alle
Motive und Typen waren vorgegeben, nur so konnten sie ihre massenmediale
Wirkung entfalten.
Walter
Benjamin sprach in seiner Abhandlung über das Kunstwerk im Zeitalter der
technischen Reproduzierbarkeit von einer "Aura" hinsichtlich des Spezifischen
von Kunst, die sich durch ihre Einmaligkeit auszeichne. Er definiert die Aura
als "einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag." Als
Beispiel nennt er die Empfindung des Betrachters einer Bergkette an einem
Sommertag. Die Empfindung jenes Augenblicks ist nicht reproduzierbar, denn der
gleiche geschichtliche Moment wiederholt sich nicht mehr. Die Unnahbarkeit ist
für ihn ein eigentümliches Merkmal des Kunstwerkes, was sich daraus erklärt,
dass sich die Kunst aus magischen und später religiösen Ritualen entwickelt
hat.
Also haben
wir es bei den Bildern von Julia Hürter sogar mit einer doppelten Aura zu tun?
Im gewissen Sinne schon. Ikone und Glamour zusammen sind eine wirkungsmächtige
Kombination. "Unsicherheiten gibt es da nicht," erkennt Julia Hürter und steht
als Künstlerin vor einer Bedeutungsmauer, die noch niemand je überwunden hat.
Bis an diese Grenze führte sie der Maler Ben Willikens, bei dem sie an der HBK
in Braunschweig lernte. Ihm folgte sie als Meisterschülerin auch an die
Akademie nach München. Willikens schafft Bilder von menschenleeren
Ideal-Räumen. Berühmt ist sein "Abendmahl", in dem er das Fresko von Leonardo
von allen menschlichen Spuren befreit.
Bei Julia
Hürter baut sich angesichts dieser Bedeutungsgebirge in einigen Abständen
immer wieder so etwas wie ein Leidensdruck auf, der sie dazu bringt, den
Glamour zu entlarven, ihn mit Zitaten anzureichern, die ihn ins Absurde
führen. Sie empfindet die Schrift dann als Befreiung vom Minimalismus.
Konsequent geht sie noch einen Schritt weiter, schreibt über Bilder in
mehreren Ebenen, "Geheimnisse", wie sie sagt, bis die Schrift sich "aus einer
Sehnsucht nach Malerei" auflöst, - so wie Julia Hürter Befreiung auf einigen
Bildern auch mit dem Verlaufen von Schminke lustvoll die Dekonstruktion der
aufgemalten und in unserem Glamourspeicher verewigten Schönheiten betreibt:
Anarchie - die Abwesenheit von Herrschaft, der Herrschaft von Ikonen, von
Verführung durch Heilige, durch heilige Verführung. "Ich will die doch gar
nicht kennen lernen", sagt Julia Hürter über Naomi, Cindy Kate, Angelina oder
Heidi. Heidi Klum sei "die Krönung - obwohl ihre untere Zahnreihe schief ist."
Rainer Milzkott, November 2008
Hochglanz von Dörte Lammel
Wenn Julia
Hürter den Ausstellungstitel „Hochglanz“ wählt, weist sie damit
auch auf ihre ganz persönliche Faszination über ein zeittypisches Phänomen
hin, nämlich das der technisch absolut perfekten, anspruchsvollen und
hochästhetischen Selbstinszenierung und Präsentation von posierenden und
gestylten Menschen.
Dabei erhebt
sie sich keineswegs über die Hohlheit einer seelenlosen Medienraserei. Sie
entlehnt aus sachlicher Distanz all den Life-Style-Magazinen
jenes spezielle Menschenbild, das unter anderem der Entwicklung der
Phototechnik, der Film- und Druckmedien, sowie der Werbeindustrie Rechnung
trägt und auf zukünftige Sicht hin betrachtet, den Charakter der Kunst des
20./21. Jahrhundert mit prägen wird
Aus
dem Typisch-Charakteristischen dieses Menschenbildes entwickelt
die Künstlerin ihre sehr prägnante Formensprache. In ihren Porträtbildern,
Ganzkörperporträts und Silhouettenbildern werden
konkrete Modells, Schauspieler, Sportler usw. in zum Teil extremen
Posen meist einzeln auf der Leinwand fixiert. Die Gestik ist häufig
überzogen, die Mimik selten entspannt, sondern oft zu einer Maske
des Lachens erstarrt. Julia Hürter greift die Glattheit
der Druckästhetik auf und setzt sie in gemalte Bildhaut um. So erhalten
Pose und Maske als Zeichen der Ver- und Entfremdung neuen Ausdruck,
gibt der sinnliche Vorgang der Malerei ein Stück lebendiges Gesicht
zurück. Dennoch bleiben ihre Kopf- und Körperporträts Bildformeln
aus Erstarrung und Reduktion. Wir begegnen Oberflächen ohne Sinnlichkeit,
Lachen ohne Ausdruck, Fassaden ohne Gemütsbewegung. Jedes Bild ist
eigentlich eine Behauptung, jedes Gesicht ein leeres Versprechen.
Ihre
Arbeiten sind ihre Angebote an unsere Phantasie, an unser Geschmacks- und
Urteilsvermögen. Sie bewegen sich im formalen Spannungsfeld zwischen
sachlicher Distanz und verständnisvoller Annäherung; dekorativer Kühle und
zeitgemäßer Gefühlsentäußerung; Showeffekt und lebendiger Körperlichkeit;
Lockung und Verweigerung; Typisierung und Individualisierung; Künstlichkeit
und Natürlichkeit.
Julia
Hürter macht uns in ihren ornamental dekorativen, betont flächigen
und farblich unterkühlten, distanzierten Figurenbildern deutlich,
dass Schönheit eine Idee ist.
Dörte Lammel, 2006
Einfach schön
Zum Starshooting in der Malerei von Julia Hürter von
Ute Müller-Tischler
Moderne
Gesellschaften sind darauf angelegt, dass sie in regelmäßigen Abständen
gemeinsam weinen, gemeinsam trauern oder gemeinsam entsetzt sind. Es kann
genauso gut sein, dass sie gemeinsam euphorisch werden. Die richtige Story
liefert den Hintergrund und das richtige Gesicht, den Star. Dafür haben wir
das moderne Nachrichten- und Pressewesen, das uns in Lifestyle-Magazinen,
Shows und Werbung zur passenden Zeit informiert. Deswegen hat eine Strategie
keine Chance, die sich den modernen Trends verweigert. Und der Zwang zum
Schönen ist ein Selbstläufer. Wer will schon hässlich sein? Selbst wenn, dann
ist auch das schön. Der kollektive Schönheitswahn steuert die Mode- und
Unterhaltungsindustrie oder geht das Verhältnis andersherum? Es ist ein
Kreislauf, dessen Antriebsdynamik sich sozialökonomisch formiert. Der Erfolg
von Hennes & Mauritz beweist, wie sich
Geschmack massenweise potenziert. Wenn uns von den Werbepostern auf den
Straßen die Stars in Unterwäsche anlächeln, ist das die Veredelungsbotschaft
eines Discounters, der seine Waren labelt, und
zugleich ist es ein von raffinierter Psychologie unterfütterter
Marktmechanismus, der sichtlich und überaus perfekt funktioniert.
Was in den
90er Jahren in der Welt des Massenkonsums geschah, hat die Kunstwelt nicht
unberührt gelassen. Im Gegenteil. Seitdem die Kunst popkulturelle Phänomene
wieder entdeckt hat, entstand nicht nur so genannter Neopop, sondern auch
eine kulturelle Strukturreform, mit der sich die Kunst neue Märkte erschloss
und dafür ihre künstlerischen Funktionsweisen änderte.
Kunst musste fortan nicht mehr solitär, teuer und vom Ethos des genialen
Künstlers geprägt sein. Vielmehr sollte sie visuell überzeugen, indem sie ein
Publikum ansprach, dessen Welterfahrung vom
Fernsehen und Rundfunk geprägt war.
Die
Ästhetik der 90er Jahre war eine Funktionsästhetik, in deren Mittelpunkt die
Werbung stand. Werbung für und durch das Produkt Kunst konnte erfolgreicher
nicht sein, wenn sie deren formalästhetischen Ansätze und Mechanismen
kopierte und in ihre eigene Formgestalt übertrug; Werbung als Kunst
deklarierte. Damit verband sich eine Popularisierung der Bildmotive, wie sie
schon bei Andy Warhol zu überraschenden Bildlösungen und vor allem zu einer
effizienten Ökonomie führte. Das Versprechen der Moderne, Kunst und Leben
zusammenzuführen, schien im Pop aufzugehen, weil das Leben eben dort
künstlich erzeugt worden ist. "Ich weiß nicht, wo das Künstliche aufhört
und das Reale beginnt", so Andy Warhol, 1967 über die Hintergründe
seiner Bilder, die nichts weiter oder so viel wie die Oberflächen seiner
Partyinszenierungen und ausgeschnittenen Fotos waren. Kunst ist also
wirklich. Und mehr noch, man kann durch sie das, was man sich wünscht
bekommen, zumindest in den Leinwandserien von Julia Hürter.
Die
Berliner Malerin verwendet Bildmotive, die sie Zeitschriften und
Modemagazinen entlehnt. Damit steht ihr ein Kosmos von Bildern zur Verfügung,
der massenhaft verbreitet ist und unser Sehen vorcodiert. Die immer
wiederkehrende Abbildung der immer wieder gleichen Modelle - Menschen in den
Outfits, die wir auch haben wollen, in ihrem Alltag, den wir auch haben, ist
ein visuelles Training , das unsere Augen für die Wahrnehmung von
Bildstrukturen konditioniert. Man kann dieses Bildorganisierende Verfahren
auch reproduktive Malerei nennen. Die Wiederherstellung von schon einmal
stattgefundenen Situationen erscheint als Projektion von gutem Aussehen, und
ist also in erster Linie ein inneres Bild.
Indem sie
die Stars abbildet, nimmt sie sich ihrer an und zieht sie in ihre Welt. Im
Geviert der Leinwände werden sie weiter benutzt. Die radikalen Anschnitte und
bedingungslosen Fragmentierungen erinnern an amerikanische
Reproduktionsprinzipien wie The Big Shot, "you can get closer
to your subject, one piece at a time"(Andy
Warhol). Zum Schluss bleiben Details, die der Struktur des Bildes dienen.
Indem das Auge ergänzt, entsteht im Übrigen hier Kunst; nicht nur so, aber so
auch.
Die
wunderbaren, fast transzendent wirkenden Muster erinnern an festgeschriebene
Formate des Starshootings und das Memory eines immergleichen Bildes. Beides steht im engen
Zusammenhang und in Verbindung mit dem Business der kulturellen Praxis
Werbung, die nichts weiter als Gemeinschaft vermittelt. Gemeinsames
Schönfinden und gemeinsames Schönsein verbindet und orientiert in der Gesellschaft.
Schauspieler und Stars sind eigentlich dazu da, diese Übereinkunft immer
wieder herzustellen. Die Serien von Julia Hürter sind in einem solchen
Zusammenhang zu sehen. In den letzten Jahren sind einige und zum Teil sehr
umfangreiche serielle Arbeiten entstanden, die alle konsequent vorgetragen
sind.
Sowohl die Sportler, als auch die Modellbilder bezeugen ihr vorzugsweises Interesse an einer trivialen Inszenierung,
die sie immer mehr verstärkt, bis sie beeindruckend souverän sind. Denn
nichts steht ihren gute Laune Bildern mehr im Weg,
als eine unbestimmte Bedeutung. Ihre Farben und Kontraste sind klar und
direkt, im Grunde unverbildet. Nur in vereinzelten Arbeiten zeigt sich
Distanz, dann entsteht ein schöner Abstand, der alle Schrillheiten
scheinbar mildern will. Was man sieht, ist das, was sie malt, die Oberfläche
einer schönen Welt, noch viel schöner. Indem sich Julia Hürter heranzoomt,
auf das Wesentliche von abbildenden Linien konzentriert, entsteht ein
Gesamtwerk, das einfach schön ist.
Ute Müller-Tischler,
November 2003
Zu den Arbeiten von Julia
Hürter von Barbara Höffer
Modemagazine
und Illustrierte, Produkte unserer sich inflationär verbreitenden
Massenkultur, sind der Ausgangspunkt der Arbeiten Julia Hürters.
Ausgesuchte Vorlagen - meist weibliche Figuren- werden mittels der
Nitrofrottage auf den Bildgrund aufgetragen und durch lasierende
Farbschichten überlagert. Die weiblichen Körper erscheinen nunmehr
schablonenartig wie in einem Schattenspiel, so dass
ihre stereotype Gestik, ihre quasi-theatralischen Posen besonders augenfällig
werden. Im Laufe des Malprozesses legt sich ein feiner Vorhang aus zerfließenden Farbschleiern oder handgeschriebenen
Textzeilen über die Figuren. Die Bilder Julia Hürters
bilden eine Textur, in der die einzelnen Schichten als Erinnerungsspuren
eines vorgängigen Unbewussten aufscheinen; eines Unbewussten, das zwischen der individuellen Geschichte der
Künstlerin und dem kollektiven Gedächtnis unserer zunehmend medial
vermittelten Kultur oszilliert. In den neueren Bildern Julia Hürters scheint der Schleier, in den die Protagonisten
der Silhouetten- und Schriftbilder wie farbige Muster eingewebt scheinen,
zerrissen. Die Serie von über vierzig Frauenköpfen aus dem Jahr 1996 widmet
sich dem Phänomen Model, den neuen Ikonen unserer Zeit. Namen wie Marylin, Carmen, Olympia, Naomi oder Cindy dienen nicht
nur als Titel der Portraits, sondern erscheinen als Markenzeichen, hinter
denen sich ein bestimmter Typ Frau verbirgt. Die Bilder zeigen jedoch keine
makellos schönen Gesichter, vielmehr wird das vermeintlich naturgegebene Sein
der schönen Frauen als Produkt mühsamer Arbeit entlarvt. Das Zerfließen der
Farben stört die perfekte Simulation und lässt die
Portraits zwischen Schönheit und Monstrosität
changieren, ohne jemals ein Dahinter, ein jenseits des Scheins offenzulegen. Die Konzentration auf die Figur und das
Spiel mit der reinen Oberfläche erfährt in den Ganzkörper Portraits von 1998
und 1999 eine weitere Radikalisierung: Die Künstlerin inszeniert in diesen
kleinformatigen Arbeiten männliche und weibliche Körper als modische Zeichen.
Während Serie #1 die Statik und Isolation des Protagonisten von seiner
Umgebung hervorhebt, legt die darauf folgende Serie
ihr Hauptaugenmerk auf den Aspekt der Bewegung und körpersprachlichen
Kommunikation in verschiedenen Paarkonstellationen. Die exaltierten Posen
beider Serien, die durch den reduzierten, flächigen Bildhintergrund betont
werden, ironisieren in ihrer Theatralität
bestehende Geschlechterklischees. Darüber hinaus wird die Normativität der
hier zur Schau gestellten geschlechtsspezifischen Posen durch das Prinzip der
Serialität unterlaufen, das jedes Zeichen als Kopie
eines nicht vorhandenen Originals erscheinen lässt.
Barbara Höffer, 2000
Zur Eröffnung der
Ausstellung in der Galerie Tedden von Helmut Knirim
Inhaltlich
kreisen die Bilder Julia Hürters häufig um ein
Thema: die Frau. Aber damit sind keine feministischen Botschaften verbunden.
Ausgangspunkt der Arbeiten ist die Beschäftigung mit dem Bild der Frau in
Modejournalen und Illustrierten, also allgemein zugänglichen und verfügbaren
Massenmedien. Mittels der Nitrofrottage wird ausgewähltes und
ausgeschnittenes Bildmaterial auf den Malgrund übertragen. Die Vorlagen
verlieren in diesem Prozess die photographische
Schärfe, werden zudem von lasierend aufgetragenen Farbschichten überlagert.
Ein Farbsfumato, in dem die Figuren noch
schemenhaft erkennbar bleiben, ist ein nur kurz anhaltender Zwischenzustand,
denn darüber wird ein filigraner Vorhang aus waagerechten handschriftlichen
Textzeilen gelegt, häufig in mehreren Lagen übereinander, zudem in
unterschiedlichen Farben.
Weder die
Texte - Satzfragmente und einzelne Wörter bleiben lesbar - noch die Figuren
haben die Aufgabe, Geschichten zu erzählen. Die Künstlerin geht nicht von
Bildinhalten aus, sie ist durchaus keine Illustratorin von vorgegebenen
Stoffen. Die Bildinhalte - damit einher geht der weitestgehende Verzicht auf
Bildtitel - bleiben offen, der Rezipient muss sie
durch eigene Anschauung erschließen, zu welchen Ergebnissen er kommt, bleibt
freigestellt.
Julia
Hürter liefert keine mit moralischer Kompetenz aufgeladenen Mitteilungen. Das
Basismaterial für ihre Bilder entnimmt sie den Zeitschriften und
Illustrierten, Texte aus Trivialromanen, den so genannten
Groschenromanen, überlagert die figuralen Zeichen, die in neueren Arbeiten
auch schablonenhaft wie im Schattenfigurenspiel wirken und sich aus der tonig
gebundenen Farbigkeit lösen. Dem Betrachter bleibt die Möglichkeit, viel von
dem nachvollziehen zu können, was die Künsterlin
materialisiert hat. Der Prozess der Entwicklung wird
nicht verdeckt, die Gestaltungsschritte des schnellen, vielleicht sogar
ungeduldigen Procedere bleiben erkennbar. So betrachtet, legt Julia Hürter in
der Malerei nicht Schicht auf Schicht, bei ihr bleibt sie ein offenes Medium
wie die Zeichnung. Die Arbeiten haben generell einen offenen Charakter, sie
sind ehrlich und lebendig im Sinne des Suchenden, des Fragenden,
möglicherweise gar im Sinne des ,,Unfertigen''.
1996 schuf
Julia Hürter eine Serie von über vierzig Frauenköpfen, die mit zum Teil exotischen Mädchennamen betitelt sind, wie wir sie
aus der Welt der Mannequins und Models kennen:
Naomi, Carmen, Marilyn, Cindy, usw. Doch es sind keine strahlenden Gesichter,
die Köpfe werden zumeist vom Bildformat beschnitten, fließende Farben
suggerieren verlaufendes Make-up.
Die
methodisch raffinierte Effekthascherei der Modefotografie wird damit seziert,
ebenso wie in den Abklatschen der Nitrofrottagen anderer Bilder. Das
animierend arrangierte Bild der Frau, deren
stilisierte-ästhetische
Pose, wird aus dem Bereich der Werbung, der Modejournale in den der Kunst
übertragen, ein Transfer, der Einsichten dafür liefern kann, welche Rolle und
Stellung die Gesellschaft auch heutzutage der Frau noch gerne zuteilt. Durch
die Kunst wird der Objektcharakter aufgehoben, an seine Stelle tritt wieder
das menschliche Maß, das seit Ewigkeit nicht an Gültigkeit verloren hat.
Helmut Knirim, 1997